Das Büro, wie wir es noch nicht kennen

Wir leben und arbeiten in Zeiten eines fundamentalen Wandels: Digitalisierung, die Verlagerung hin zum Kreativen – und nun auch noch Covid-19. Je weniger wir sicher sein können, wohin sich die Arbeitswelt entwickelt, desto mehr kommt es darauf an, auf alles vorbereitet zu sein.
Die Diskussion über die Zukunft des Büros wird gerade lebhafter denn je geführt. Wirtschaftskommentatoren, Futuristen, Designer, Wissenschaftler, Journalisten und viele andere wetteifern darum, ihre Überlegungen zum Büro in der Ära nach Covid-19 kundzutun. Wie so oft gibt es zwei Lager. Auf der einen Seite stehen die Revolutionäre und Technikfreaks, die die derzeitige Welle des Remote-Arbeitens als Todesstoß für das herkömmliche Büro betrachten. Simon Jenkins, Kommentator des Guardian, schreibt zum Beispiel: „Das Zeitalter des Büros ist vorbei … Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat die digitale Revolution dafür gesorgt, dass die Büros auf winzige Bildschirme reduziert wurden. Seitdem ist ihr Fortbestehen nur noch eine Frage der Zeit. Corona hat ihnen das Messer auf die Brust gesetzt.“
Andere glauben, dass „die Fama vom Ende des Büros stark übertrieben ist.“ Ihnen zufolge ist der Mensch vor allem ein soziales Wesen, das auf persönliche Begegnungen angewiesen ist, um produktiv zu sein. Dieser Auffassung ist auch die renommierte Arbeitsplatzforscherin Kerstin Sailer, die erklärt: „Langfristig kann die völlige Abschaffung des Büros sogar dem Nettoprofit eines Unternehmens schaden, da gute Ideen versiegen, die Einstellung neuer Mitarbeiter schwierig wird und Teams sich allmählich auflösen.“
Verschiedene Wege führen in die Zukunft
Die Wirklichkeit wird diffuser sein als die Diskussion vermuten lässt. Die Unternehmen werden unterschiedliche Lösungen wählen, je nach ihren Arbeitsabläufen, ihrer Kultur und den Überzeugungen ihrer Führungskräfte. Einige Unternehmen werden an der derzeitigen virtuellen Arbeitsweise festhalten (im Management-Jargon ein „digital-first approach“). Andere werden ihre Mitarbeiter möglichst schnell zurück ins Büro scheuchen (ein schreibtischorientierter bzw. „desk centric“-Ansatz). Die meisten werden sich jedoch für eine Lösung dazwischen entscheiden (ein hybrider Ansatz mit „gemischter Präsenz“). Dabei können die Beschäftigten ihre Arbeitszeit auf mehrere Orte aufteilen: das Zuhause für Einzelarbeit, das Büro für die Zusammenarbeit mit anderen, Cafés für informelle Besprechungen, Co-Working-Spaces für Projektarbeit oder Hotels für Teamveranstaltungen; hinzu kommen zahlreiche andere Orte für all jene Tätigkeiten, die man erledigen kann, indem man etwas in sein Smartphone tippt oder auf dessen Bildschirm herumwischt.
„Das Büro wird zu einem Knotenpunkt in einem umfassenderen Netz von Arbeitsorten.“
Die hybride Form ist offensichtlich nichts Neues. In seinem 1997 erschienenen Klassiker The New Office sagte der Architekt Frank Duffy voraus, dass das Büro zu einem Knotenpunkt in einem umfassenderen Netz von Arbeitsorten werden würde. Er schrieb: „Es ist nicht länger notwendig, dass ein Mitarbeiter von neun Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags an einem bestimmten Platz sitzt … Die meisten Menschen werden lernen, an vielfältigen Orten zu arbeiten.“ Der Unterschied zwischen damals und heute betrifft vor allem die Größenordnung. Als Duffy sein Buch schrieb, war Remote-Working das Privileg einer begrenzten Zahl hochqualifizierter Wissensarbeiter. Nun ist das mit einem Mal nicht mehr der Fall. In den vergangenen Monaten erhielten Bürobeschäftigte jeder Couleur die Freiheit, von zu Hause aus zu arbeiten, und man geht davon aus, dass sie an dieser Freiheit festhalten wollen, zumindest für Teile ihrer Arbeitszeit.
Angenommen, das geschieht tatsächlich: Wie würde sich dies auf das physische Arbeitsumfeld auswirken? Was die Städte betrifft, so ist es gut vorstellbar, dass die Arbeitnehmer ihren Wohnsitz in größerer Entfernung zu ihrer Arbeit wählen und einen längeren Arbeitsweg in Kauf nehmen, den sie dafür weniger oft antreten müssen. Vor allem in teuren, dichtbesiedelten Städten wie London oder New York könnten Büroangestellte in günstigere und grünere Gegenden ziehen, wo sie es sich leisten können, größere Häuser zu mieten oder zu kaufen. So ein größeres Haus hätte zudem den Vorteil, dass man sich dort ein richtiges Arbeitszimmer einrichten könnte oder gar im Garten eine „Office Cabin“ errichtet (ein Phänomen, das im Vereinigten Königreich als „Shedworking“ bezeichnet wird). Die Unternehmen wiederum könnten versucht sein, an einer noblen Adresse in der Innenstadt ein „Vorzeige“-Büro zu behalten, während der Großteil der Arbeit in gewöhnliche Büros in günstigeren Vororten oder zweitrangigen Städten verlagert werden kann.

„In den weniger zentralisierten, „polynukleären“ Städten der Zukunft sind Arbeiten und Wohnen räumlich eng miteinander verflochten.“
Solche Trends würden zu weniger zentralisierten, „polynukleären“ Städten führen, in denen Arbeiten und Wohnen räumlich miteinander verflochten sind. Auch dies ist nichts Neues, aber die Covid-19-Krise hat dieser Idee neuen Schwung gegeben. Die Bürgermeisterin von Paris etwa nutzt die Pandemie, um die von ihr propagierte „ville du quart d’heure“ (15-Minuten-Stadt) voranzutreiben: eine Stadt, die sich aus Vierteln zusammensetzt, in denen alle städtischen Funktionen – Geschäfte, Bildungswesen, Gesundheitsversorgung, Freizeit und Arbeit – zu Fuß oder mit dem Fahrrad in maximal 15 Minuten von zu Hause aus zu erreichen sind. In Bezug auf die Büros würde dies bedeuten, dass es Satellitenbüros, nachbarschaftliche Co-Working-Spaces und Mehrzweckgebäude geben müsste, die sowohl Wohnungen als auch Arbeitsräume umfassen.
Eine weitere maßgebliche Folge könnte ein verminderter Bedarf an Büroflächen sein. Dass die herkömmlichen Schreibtische mit einer durchschnittlichen Auslastung von höchstens 40 bis 50 Prozent deutlich unterbelegt sind, wissen wir schon lange. Wenn Menschen nun öfter von zu Hause aus arbeiten, wird dieser Prozentsatz noch weiter sinken; Arbeitsplätze im Büro zu teilen, ist also schon aus wirtschaftlichen Gründen naheliegend. In den 1990er-Jahren wurde dieses Konzept als „Hot Desking“ bezeichnet, und insgesamt waren die Mitarbeiter damit nicht sehr zufrieden. Die Büroräume waren in der Regel zu offen und zu dicht besetzt, was Beschwerden über Lärm sowie mangelnde Konzentrationsfähigkeit hervorrief. Im vergangenen Jahrzehnt ist das Konzept jedoch gereift und hat sich zu dem entwickelt, was als „tätigkeitsorientiertes Arbeiten“ (activity-based working, ABW) bezeichnet wird. Wie der Name schon andeutet, bietet ein tätigkeitsorientiertes Büro unterschiedliche Möglichkeiten für verschiedene Tätigkeiten. Also nicht nur Großraumarbeitsplätze, sondern auch Telefonkabinen, Ruhezonen, Pausenbereiche, Lounges, Projektflächen und Räume für Brainstorming. Im Wesentlichen geht es darum, dass die Mitarbeiter je nach Aufgabe, Stimmung und persönlichen Vorlieben den für sie passenden Ort wählen können.


Von Arbeitsökonomie zu Aufenthaltsqualität
Im Rahmen dieser unterschiedlichen Settings werden Räume für soziale Kontakte in der Zeit nach der Pandemie möglicherweise an Bedeutung gewinnen. Bereits vor der Covid-19-Krise wurden in Bürogebäuden oftmals langweilige, kaum ausgelastete Empfangsbereiche im Erdgeschoss durch ansprechend konzipierte Café-ähnliche Räume ersetzt, ausgestattet mit verschiedenen Arten von Sitzgelegenheiten, wo Menschen gemeinsam Pause machen, zusammenarbeiten oder Besprechungen abhalten können.

„Die meisten Arbeitnehmer wünschen sich eine stimmige Akustik, Tageslicht, ein paar Pflanzen und – guten Kaffee. Eigentlich ganz einfach.“
Dennoch: Auch „langweilige“ Schreibtische werden wir nach wie vor brauchen, denn die Angestellten wollen, wenn sie ins Büro kommen, weiterhin auch konzentriert und für sich arbeiten können. Aber kaum einer wünscht sich einen winzigen Schreibtisch in einem lauten Großraumbüro. Was die meisten Mitarbeiter wollen, ist ein bequemer Arbeitsplatz in einem Teambereich mit einem elektrisch verstellbaren Sitz-Steh-Pult, einem ergonomischen Stuhl und zwei großen Monitoren; sie wollen eine stimmige Akustik, Tageslicht, ein paar Pflanzen und – möglichst nah – guten Kaffee. Eigentlich ganz einfach.
Auch Gesundheit und Hygiene werden den Büronutzern wichtig sein. Die Pandemie hat zu einer generellen Angst vor Viren, Keimen, Bakterien, Schmutz, Verseuchung und Ansteckung geführt. Die Arbeitsplatzbranche reagiert darauf mit allerlei ausgeklügelten Lösungen: antivirales ultraviolettes Licht, Möbel mit antibakteriellen Oberflächen, berührungsfreie Türen, sprachgesteuerte Aufzüge und Zugangssysteme mit Temperatursensorik. Allgemeiner formuliert wird es ein gesteigertes Interesse an natürlicher Belüftung und Verbindung zur Natur geben. Balkone, Gärten und Dachterrassen werden zu wichtigen Elementen von Büros, da deren Nutzer nicht den ganzen Tag in einem abgedichteten Gebäude eingeschlossen sein wollen – das Dach des Hammerschmidt-Gebäudes von Euroboden ist ein hervorragendes Beispiel für einen solchen Ort.
Vom Wesen der Arbeit
Werden all diese Ideen tatsächlich umgesetzt? Schwer zu sagen. Wie eingangs erwähnt, läuft die Diskussion über die Zukunft des Büros auf Hochtouren. Eine der wesentlichen Fragen lautet, ob Unternehmen in der Lage sein werden, die kulturellen und verhaltensbezogenen Veränderungen vorzunehmen, die erforderlich sind, um Remote-Arbeit langfristig erfolgreich zu machen. Dazu müssen die Beschäftigten viel unabhängiger arbeiten und selbst entscheiden können, wo und mit wem sie arbeiten – was befreiend und stressig zugleich sein kann. Führungskräfte ihrerseits müssen lernen, ihre Mitarbeiter nach ihrer Leistung und nicht nach der Anwesenheit im Büro zu beurteilen – was vor allem bei Wissensarbeit naturgemäß schwierig ist. Außerdem müssen sie eine neue Rolle übernehmen und als „Community Leader“ ihre verstreuten Teams zusammenhalten. Vielleicht keine so leichte Aufgabe für den durchschnittlichen Manager der mittleren Führungsebene…
„Eine der wesentlichen Fragen ist, ob Unternehmen zu jenen kulturellen und verhaltensbezogenen Veränderungen fähig sein werden, die es braucht, um Remote-Arbeit langfristig erfolgreich zu machen.“
Ein weiterer unbekannter Faktor ist die Wirtschaft. Vielleicht führt eine umfassende Rezession dazu, dass die Menschen wieder ins Büro zurückkehren, weil sie in Zeiten unsicherer Arbeitsplätze in der Nähe sein wollen, damit ihre Vorgesetzen sie wahrnehmen? Oder wird die Rezession die Unternehmen aus rein finanziellen Gründen umgekehrt zwingen, Remote-Arbeit zu fördern, um so ihre Immobilienbestände zu verkleinern? Man sollte auch nicht unterschätzen, dass sich das Wesen der Büroarbeit selbst bald ändern könnte. Möglicherweise bewirkt die künstliche Intelligenz eine radikale Veränderung der Aufgaben und Tätigkeiten von Bürobeschäftigten. Einige Arbeitsökonomen sagen voraus, dass es in naher Zukunft nur noch Stellen und Tätigkeiten geben wird, die ein hohes Maß an Kreativität oder sozialer Kompetenz erfordern. Wenn das stimmt, werden die verbleibenden Büros möglicherweise noch weniger wie Büros aussehen – und noch mehr wie Clubs, Cafés, Künstlerateliers oder Studios.

„Das Konzept des „Transformational Buildings“ bezieht in der Debatte um das Post-Pandemie-Büro keine endgültige Stellung – sondern öffnet sich einer neuen, sich weiter verändernden Arbeitswelt.“
Dies sind nur die Richtungen, in die die aktuelle Diskussion läuft – abschließend beantworten lassen sich die meisten der hier aufgeworfenen Fragen noch nicht. Auch deshalb ist das Konzept des „Transformational Buildings“, wie wir es hier diskutieren, so spannend. Immobilien sind traditionell statisch und reagieren nur langsam auf Veränderungen in der Nachfrage. Im Gegensatz dazu verspricht das „Transformational Building“ Agilität und Anpassungsfähigkeit. Die Idee besteht darin, dass Büroräume problemlos getrennt, zusammengelegt, neu konfiguriert und unterschiedlichen oder veränderten Nutzerbedürfnissen entsprechend umgestaltet werden können. Damit bezieht das Konzept in der Debatte um das Post-Pandemie-Büro keine endgültige Stellung – sondern öffnet sich einer neuen, sich weiter verändernden Arbeitswelt. Das „Transformational Building“ kann ein kollaborativer Knotenpunkt, ein clubähnliches Co-Working-Office oder ein Mikro-Headquarter für ein virtuelles Unternehmen sein. Es kann aber genauso gut ein klassisches Büro mit vielen Schreibtischen und Besprechungsräumen sein. Der Kern des Konzepts ist Flexibilität, was sich in Zeiten des Wandels meist als die einzig zukunftstaugliche Lösung erweist.